Zurück zur Übersicht

Erben & Vererben

Häufige Tücken und Fallen, von lic.iur. Rechtsanwalt Pio R. Ruoss

Gemäss SRF News (Ausgabe 18.12.2021) werden in der Schweiz im Jahr 2022 rund 90 Milliarden Schweizerfranken durch Erbgang unter anderem auf nachfolgende Generationen übertragen. Ein erheblicher Teil davon dürfte dabei auf Liegenschaften entfallen.

Nicht immer erweist sich aber der erbrechtliche Übergang von Liegenschaften als Segen für die Erben: Die Aufteilung von Nachlässen mit Liegenschaften beschäftigt die Erben (und deren Anwälte) oft über Jahre.

Nachfolgend sollen einige “Stolpersteine” aufgezeigt werden.

Pflichtteilsquoten

Oft bilden Liegenschaften die wichtigsten Vermögenswerte im Nachlass, so dass mit deren Zuteilung durch Verfügung von Todes wegen (Testament, Erbvertrag) gleichzeitig über den Löwenanteil des Nachlasses verfügt wird.

Oftmals kreisen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Liegenschaften im Erbgang um die Pflichtteilsproblematik.

Gemäss schweizerischem Erbrecht sind die Nachkommen, die Eltern (nur noch bis 31.12.2022) sowie der überlebende Ehegatte durch unentziehbare gesetzliche Pflichtteilsquoten geschützt. Wird der Pflichtteil verletzt, indem ein Erbe nicht die ihm zustehende Mindestquote am Nachlass erhält, so können Verfügungen des Erblassers von Todes wegen sowie lebzeitige Zuwendungen des Erblassers unter bestimmten Voraussetzungen so weit herabgesetzt werden, bis der Pflichtteil des die Herabsetzung verlangenden Erben erreicht ist. Langwierige und oft kostspielige Streitigkeiten und gerichtliche Auseinandersetzungen können die Folge sein. Oftmals werden dabei aber auch die von Erblassern bei der Planung verfolgten Ziele – z.B. die Begünstigung des Ehegatten oder eines Kindes oder die Weitergabe und Erhaltung einer Familienliegenschaft in der Familie – durchkreuzt.

Wichtige Bewertungsvorschriften

Um nicht in die Pflichtteilsfalle zu tappen, muss der Testator die gesetzlichen Bewertungsvorschriften und Bewertungsmechanismen kennen.

Werden Liegenschaften bereits zu Lebzeiten des Erblassers ganz oder teilweise unentgeltlich auf einzelne Erben übertragen und gehen Pflichtteilserben dabei leer aus, kann dies vor allem bei einer negativen Entwicklung des übrigen Vermögens des Erblassers oder bei erheblicher Wertsteigerung der übertragenen Liegenschaften bis zum Tod des Erblassers (Erbgang) zur Herabsetzungsproblematik führen und dies selbst dann, wenn die Pflichtteile im Zeitpunkt der Übertragung der Liegenschaft gewahrt waren.

Dieselbe Problematik kann bei der Zuteilung von Liegenschaften an einzelne Erben durch Verfügung des Erblassers von Todes wegen eintreten.

Der Grund liegt in der angesprochenen gesetzlichen Ordnung der Bewertungsmechanismen:

Für die Berechnung der Pflichtteilsquoten sind zunächst alle Vermögenswerte im Nachlass zum Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbganges (Tod Erblasser) zu berücksichtigen. 

Abweichende, erblasserische Bewertungsvorschriften – wie z.B. die Vorschrift, die Übernahme habe zu Steuerwerten zu erfolgen – sind lediglich im Rahmen der verfügbaren Quote zulässig und im Zuge der Berechnung der Pflichtteilsquoten unbeachtlich.

Mit den oft anzutreffenden letztwilligen Bewertungsvorschriften lässt sich daher die Herabsetzungsproblematik nicht umgehen. Im Gegenteil: 

Unbedachte, erblasserische Bewertungsvorschriften sind nicht selten Auslöser von Pflichtteilsstreitigkeiten.

Zwecks Vermeidung solcher Streitigkeiten ist im Rahmen der Nachlassplanung eine genaue Übersicht über die vorhandenen bzw. zu übertragenden Vermögenswerte und deren Verkehrswerte unerlässlich. Dabei müssen auch Zukunfts-Prognosen über die Wertentwicklung der wichtigsten Vermögenswerte, insbesondere eben von Liegenschaften, gemacht und deren Ungenauigkeit bei der Ausgestaltung der Verfügung von Todes wegen bzw. bei der Zuweisung der Vermögenswerte Rechnung getragen werden.

Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass auch Vermögenswerte bei der Berechnung der Pflichtteile berücksichtigt und “hinzugerechnet” werden, die bereits zu Lebzeiten durch Schenkung oder Erbvorbezug aus dem erblasserischen Vermögen ausgeschieden sind und daher nicht in den Nachlass fallen. 

Nicht der Nettonachlass also, sondern der zu Verkehrswerten im Zeitpunkt des Erbganges aufgerechnete Nachlass, bildet die sogenannte “Pflichtteilsberechnungsmasse” und damit die Bezugsgrösse für die Pflichtteilsberechnung.

Das beim Erbgang vorhandene Nachlassvermögen (zu Verkehrswerten per Todestag) wird rechnerisch um alle herabsetzbaren, lebzeitigen erblasserischen Vermögensverfügungen erhöht (sog. Hinzurechnung). 

Diese Hinzurechnung kann die Pflichtteilsquoten einzelner – evtl. bis anhin leer ausgegangener – Erben bedeutend erhöhen und Letztere zur Herabsetzung berechtigen.

Auch die Belastung mit Wohnrechten, Nutzniessungs- oder Vorkaufsrechten kann den Wert von Liegenschaften beeinflussen und pflichtteilsrechtlich relevant sein. Die wertmässigen und pflichtteilsrechtlichen Auswirkungen solcher Belastungen sind daher im Rahmen der Nachlassplanung zu prüfen.

Zeigt die Analyse der Vermögenswerte (inkl. Zukunfts-Prognose) im Hinblick auf die vom Testator angestrebte Lösung, dass die Pflichtteilsrechte einzelner Erben durch die Zuteilung von Liegenschaften potenziell verletzt sind, so ist mit den betroffenen Pflichtteilserben eine auch im Erbgang verbindliche Einigung in der Form des Erbvertrages anzustreben. Mit Erbvertrag kann z.B. vereinbart werden, wie bei allfälligen Pflichtteilsverletzungen – z.B. auch infolge nicht vorhergesehener Vermögensentwicklungen – zu verfahren ist bzw. dass die betroffenen Pflichtteilserben auf die vollständige Ausrichtung ihres Pflichtteils verzichten. So kann z.B. unter Einbezug aller Pflichtteilserben erbvertraglich vereinbart werden, dass die Nachkommen zugunsten des überlebenden Ehegatten bis zu dessen Ableben auf die vollständige Ausrichtung ihres Pflichtteils verzichten.

Kann eine erbvertragliche Regelung nicht oder nicht mit allen Erben erzielt werden, so ist die Nachlassregelung so anzupassen, dass eine Pflichtteilsverletzung möglichst ausgeschlossen werden kann.

Infolge der in der Regel stetigen Veränderungen von Vermögenswerten sollten einmal getroffene Verfügungen von Todes wegen periodisch überprüft und nötigenfalls angepasst werden.

Zu Lebzeiten klare Verhältnisse schaffen:

1. Bei lebzeitiger Nutzung erblasserischer Liegenschaften

Eine weitere Ursache häufiger erbrechtlicher Streitigkeiten im Zusammenhang mit Liegenschaften sind unklare, lebzeitige (Nutzungs-) Verhältnisse.

Werden Liegenschaften schon zu Lebzeiten des Testators einzelnen zur Nutzung überlassen, so kann diese Nutzung, insbesondere wenn sie nicht zu Marktkonditionen erfolgt, eine ausgleichungspflichtige – d.h. im Erbgang anrechenbare – unentgeltliche erblasserische Zuwendung an den Nutzer darstellen. 

Solche Nutzungsverhältnisse sind daher im Rahmen der Nachlassplanung zu berücksichtigen, insbesondere wenn sie über längere Zeit bestehen. Ihnen kann mit klaren, erblasserischen Anordnungen, z.B. mit einer Befreiung von der Ausgleichung (Ausgleichungsdispens) Rechnung getragen werden, wobei auch hier immer die Pflichtteilsproblematik im Auge zu behalten ist.

Meist empfiehlt es sich überdies, mit schriftlichen Verträgen (Miet- oder Pachtvertrag) klare Verhältnisse zu schaffen.

2. Bei Investitionen einzelner Erben in erblasserische Liegenschaften

Ähnliches gilt bei Investitionen einzelner Erben in erblasserische Liegenschaften:

Investieren Erben zu Lebzeiten des Erblassers in dessen Liegenschaften (z.B. Ausbau einer selbst bewohnten Wohnung auf eigene Kosten), stellen sich im Zuge des Erbganges oft schwierige Abrechnungs- und Bewertungsfragen.

So wird im Rahmen der Nachlassabwicklung z.B. zu klären sein, ob und in welchem Umfang die investierenden Erben für ihre Investitionen eine Abgeltung von der Erbengemeinschaft verlangen können.

Sind keine klaren schriftlichen Vereinbarungen, Belege über die getätigten Investitionen sowie Gutachten über allfällig geschaffene Mehrwerte im Zeitpunkt der Investitionen vorhanden, so kann dies eine spätere Erbteilung erheblich erschweren.

Denkbar sind Regelungen über Darlehens-, Miet- oder Pachtverträge etc. mit klaren Amortisationsbestimmungen.

Beachten der Grenzen der Durchsetzbarkeit erblasserischer Auflagen

Nicht selten werden mit der Zuweisung von Liegenschaften auch erblasserische Auflagen zulasten der die Liegenschaft übernehmenden Erben verbunden. 

Die Erhaltung einer Familienliegenschaft im ungeteilten Eigentum der Nachkommen wird z.B. mit der Auflage angestrebt, die Liegenschaft dürfe seitens der Erben während einer gewissen Sperrfrist nicht veräussert und der Nachlass mit Bezug auf die Familienliegenschaft nicht geteilt werden (Anordnung eines Teilungsaufschubs).

Solche Auflagen sind zwar grundsätzlich zulässig. Sie dürfen aber die Pflichtteilsrechte nicht verletzen. Im Rahmen seines Pflichtteilsrechts hat jeder Erbe Anspruch auf jederzeitige Teilung des Nachlasses. Sind nebst der vom Teilungsaufschub betroffenen Familienliegenschaft nicht genügend andere, „freie“ Vermögenswerte vorhanden, um die Pflichtteilsansprüche der Erben vor Ablauf der angeordneten Sperrfrist auszurichten, so kann sich jeder Pflichtteilserbe gegen den Teilungsaufschub wehren. 

Die Erben können überdies gemeinsam beschliessen, erblasserische Auflagen zu übergehen und z.B. eine Familienliegenschaft zu veräussern oder aufzuteilen.

In vielen Fällen erweisen sich somit erblasserische Auflagen – trotz oftmals achtenswerter, erblasserischer Motive – als letztlich nicht durchsetzbar.

Einbezug von latenten Steuerlasten in die Nachlassplanung

Die Übertragung von Liegenschaften ist in aller Regel mit Steuerfolgen verbunden. Dies gilt grundsätzlich auch für den Übergang von Liegenschaften durch Erbgang. 

Allerdings wird der Bezug der Grundstückgewinnsteuer bei Erbteilung in der Regel aufgeschoben. Die Besteuerung erfolgt somit i.d.R. erst im Zuge der Weiterveräusserung der geerbten Liegenschaft durch übernehmende Erben. Für letztere ist die Liegenschaft aber mit der latenten Steuerlast belastet, da sie bei Weiterveräusserung auch die bereits bis zum Erbgang aufgelaufene Grundstückgewinnsteuer berappen müssen. 

Dieser latenten Steuerlast ist bei der Berechnung von Erbanteilen und Pflichtteilen Rechnung zu tragen.

Die Erben werden es sodann einem Erblasser danken, wenn er zusammen mit dem Nachlass eine möglichst vollständige und geordnete Sammlung aller grundstückgewinnsteuerrelevanten Belege hinterlässt. Damit lässt sich die Grundstückgewinnsteuer in vielen Fällen erheblich reduzieren.

Befinden sich durch Erbgang zu übertragende Liegenschaften im Geschäftsvermögen des Erblassers, so kann dies die Erben mit weiteren Steuern und Abgaben belasten (z.B. Einkommenssteuer, AHV) und die Nachlassteilung erschweren. Eine frühzeitige diesbezügliche Steuer- und Nachlassplanung ist daher in solchen Fällen dringend zu empfehlen.

Fazit

Eine sorgfältige Nachlassplanung ist ein anspruchsvolles, aber lohnendes Unterfangen.

Insbesondere wenn Liegenschaften im Spiel sind, sollte sie nicht ohne Beizug ausgewiesener Fachpersonen erfolgen. 

Verfügungen von Todes wegen sollten periodisch, zumindest aber bei Eintritt erheblicher Veränderungen des erblasserischen Vermögens überprüft und nötigenfalls angepasst werden.

Pio R. Ruoss

lic.iur., Rechtsanwalt

ruossvoegele.ch